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Die SPD, die Finanzmärkte und die Umfragen

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Hessen-SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel meldet via Twitter, das „Handelsblatt” habe den Anti-Banken-Wahlkampf der SPD „frei erfunden”, das sei „aergerliche [sic!] Stimmungsmache”. Dann habe ich mir wohl eingebildet, dass Sigmar Gabriel bei der Parteivorstandsklausur erklärte, die SPD wolle nicht gegen Merkel, sondern gegen „die Finanzmärkte” kämpfen. (Übrigens sind wir alle, die wir Girokonten und Sparbücher haben, Teilnehmer „der Finanzmärkte”.) Ebenfalls scheint es meiner Einbildung zu entspringen, dass auf spd.de seit einer Weile die reichlich peinliche „Wir sind viele”-Kampagne beworben wird, die glücklicherweise auf beachtlich wenig Resonanz stößt. Vor Ort wird das Material jedenfalls nicht grund– und wortlos unter „Ablage P” vermerkt.

In Wahrheit ist es eine Tatsache, dass die SPD nach einer einigermaßen langen Periode des langsamen Wiederaufstiegs seit kurzer Zeit bei allen (!) Umfrageinstituten stagniert oder sinkt — „seltsamerweise” überschneidet sich das Desinteresse an der SPD in einer eklatanten Manier mit der Verlautbarung Gabriels, die SPD wolle nicht gegen Merkel kämpfen.

Natürlich ist das gar nicht „seltsam”, sondern logisch. Die Menschen wollen keinen dumpfen Anti-Banken-Wahlkampf, der die SPD in die Nähe der obskuren „Occupy”-Bewegung bringt. Die Bürgerinnen und Bürger, die mit der Regierung Merkel unzufrieden sind, wollen eine SPD, die eine Alternative zur Regierung Merkel darstellt, also die klar benennt, dass es die Schuld Merkels ist, dass Griechenland in Schulden versinkt und Athen brennt. Die sog. „Occupy”-Bewegung besteht im Wesentlichen aus Leuten, die unser politisches System als Ganzes ablehnen und stattdessen eine völlig unrealistische „Echte Demokratie” propagieren, etliche Verschwörungstheoretiker sind auch dabei, und natürlich aus den üblichen Verdächtigen, die die gleichen Parolen schmettern, die sie schon seit Jahrzehnten verkünden, die jedoch bisher niemand hören wollte, weil es nun einmal nichts weiter als blanker Unfug ist. Die SPD ist leider auf die Jubelarien der Presse reingefallen, etliche jugendliche Charismatiker bei „Occupy” können nicht darüber hinweg täuschen, dass es eben nicht die „99 Prozent” sind, die vor der EZB ihr Zelte aufgeschlagen haben, sondern eine winzigkleine Minderheit, deren bevorzugte Lektüre die „Junge Welt” ist. Die Anti-Acta-Proteste verdeutlichen die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklich bei „Occupy” in einer Weise, die geradezu beispiellos ist.

Es ist nichts anderes als gefährlicher Moralismus, wenn „Occupy” Manager und Banken persönlich attackiert. Natürlich läuft im Finanzsystem einiges falsch. Aber das liegt nicht an einer nicht näher benannten „Bankenmacht”, im Übrigen eine Formulierung aus der orthodox-marxistischen Mottenkiste, sondern das liegt daran, dass die Politik (!) falsche Anreize geschaffen hat. Es ist falsch, den Manager einer Großbank moralisch zu attackieren, so lange er sich an geltendes Recht hält. Wo die Moral das Recht ersetzt, da wütet der Mob, da ist niemand mehr sicher vor dem Wankelmut des Spießbürgers.

Sigmar Gabriel und der Parteivorstand sind leider auf eine völlig verkürzte Kapitalismuskritik angesprungen, obwohl der Bundesparteitag gute (PDF) und richtige Beschlüsse (PDF) gefasst hat. Diese müssen aber eben auch in der Presse beworben werden.

Und vor allem: die SPD muss Merkel den Kampf ansagen. Es geht nicht an, dass der SPD-Vorsitzende, immerhin die Partei mit einer Geschichte, die einzigartig ist in der Welt, nichtssagende Parolen schwingt, die über ein „Wir haben uns alle lieb” nicht hinausgehen. Es geht nicht an, dass Gabriel unwidersprochen sagen kann, er glaube, dass es der Vergangenheit angehört, dass Parteien gegeneinander kämpfen. Denn genau darum geht es in unserer liberalen Demokratie: dass Parteien auf dem Marktplatz der Ideen unterschiedliche Konzepte zur Wahl stellen, aus denen dann die Bürgerinnen und Bürger mehrheitlich für das Konzept stimmen, das ihnen am ehesten behagt. Wer das einigermaßen verschämt als Parteiengezänk diffamiert, hat das Wesensmerkmal unserer Demokratie nicht verstanden.


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